Filmtanz, Tanzfilm und getanzter Film

3 Choreografie für die Kamera

Ab den 1940er Jahren entwickelt Maya Deren sowohl in ihren Schriften als auch in ihren Filmen eine spezifische Konzeption von filmischem Tanz. Sie grenzt sich gegen frühere Formen von Tanz im Film ab, da ihrer Ansicht nach in den meisten Tanz-Filmen die Ratlosigkeit der Kamera[14] vorherrscht. Anders als bei den vorangegangenen Film-Experimenten, an deren postproduktive Bearbeitungsweise sie gleichwohl anknüpft, steht bei Deren der sich im Raum bewegende Mensch im Zentrum. So versetzt sie etwa in Ritual in Transfigured Time (US 1946) eine Partygesellschaft durch Schnitt, Montage und Loops in eine Art rituellen Gesellschaftstanz, dem keine tatsächlich getanzte Choreografie zugrunde liegt, sondern der das Ergebnis einer filmtechnischen Choreografie ist. Neben den Mitteln der Postproduktion sind zwei weitere Elemente entscheidend für Derens Film-Tanz, der so nur im Film aufgeführt werden kann[15]: die Kamera, bei der wesentlich die Verantwortung für die Bewegung liegt, und der Raum. Filmischer Tanz kann sich an verschiedenen Orten in Folge ereignen, was, schon aus rein technischen Gründen, im Bühnentanz wesentlich schwieriger zu realisieren ist. Die Szenerie in Ritual in Transfigured Time wechselt beispielsweise vom Haus in den Garten, in eine Außenarchitektur und, am Ende des Films, ins Meer. Schnitt und Montage gestatten es weiterhin, die Einheit des Ortes und des Raumes zu durchbrechen. So beginnt der Tänzer in Study in Choreography for Camera (US 1945) mehrfach eine Bewegung in einem räumlichen Kontext, um sie dann in einem anderen fortzusetzen. Eine Bewegung wechselt etwa vom waldigen Außenraum unmittelbar in den Innenraum eines Hauses, später beginnt eine Bewegung in diesem Innenraum, um dann in einem Innenhof des Metropolitan Museums fortgesetzt zu werden.

Derens Konzeption kann bis heute als grundlegend für eine spezifische Ausprägung von Film als Tanz gelten. Auch wenn Musik bei Deren selbst keine zentrale Rolle spielt, gibt es zahlreiche Beispiele für die Verbindung von filmischem Tanz und Musik in ihrer Nachfolge. In Ed Emshwillers Dance Chromatics (US 1959) kommen im Film sogar Tanz, Malerei und Musik zusammen. Norman McLaren bearbeitet für Pas de Deux (CA 1967) Aufnahmen einer eigens für diesen Zweck angefertigten Ballettchoreografie im optischen Printer so, dass mehrere Bewegungsphasen übereinander kopiert erscheinen. Die Musik von Maurice Blackburn besteht aus einer geloopten und mit einer Harfe kombinierten, 2 ½-minütigen Aufnahme einer Panflöte. Die Bewegungen der Tänzer entfalten sich wie Fächer zu den Arpeggien der Harfe oder entlang der Melodieführung der Panflöte; die ursprüngliche Choreografie wird dadurch filmisch transformiert, sodass beispielsweise zu Beginn des Films die Ballerina mit sich selbst zu tanzen scheint.

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