Philips Pavillon

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Poème électronique für Tonband (1957–58) von Edgard Varèse
Grundrisse des Philips-Pavillons mit Anmerkung zur Klangausbreitung. Manuskript Seite 2.
Paul Sacher Stiftung, Basel: Sammlung Edgard Varèse.

Im Jahr 1958 verwirklichten Le Corbusier, Iannis Xenakis und Edgard Varèse auf der Weltausstellung in Brüssel eine bisher einzigartige Raum-Klang-Komposition, die nur mit dem modernen Begriff der multimedialen Installation zu fassen ist. Le Corbusier erhielt vom künstlerischen Direktor des Philips-Konzerns, Louis Kalff, den Auftrag, einen Pavillon zu entwerfen, der die technologischen Errungenschaften des modernen Zeitalters und zugleich die Bedeutung des weltweit tätigen Konzerns repräsentieren sollte. Le Corbusier übertrug ausgehend von seinem dem menschlichen Magen nachempfundenen Grundriss den Entwurf des Pavillons dann aber weitgehend Iannis Xenakis, der bereits seit 1947 als Architekt und Ingenieur in seinem Büro arbeitete.[1] Le Corbusier selbst, der in diesem Zeitraum mit den großen Entwurfsprojekten im indischen Chandigarh beschäftigt war, beabsichtigte, keinen Pavillon zu bauen, sondern ein elektronisches Gedicht. Es wird sich alles im Inneren abspielen – Ton, Licht, Farbe und Rhythmus[2]. Le Corbusiers Farb- und Bildprojektionen waren mit der achtminütigen Klangprojektion des Poème électronique von Edgard Varèse synchronisiert. Varèse sah hier erstmals seine Konzeption einer spatialen Musik in idealer Weise umgesetzt. Seine Komposition war auf drei Tonbändern aufgenommen und die Klangprojektion auf 350[3] Lautsprecher verteilt, die auf sogenannten Klangbahnen angeordnet waren. Dies erzielte den Effekt, als würden sich die Klänge im Pavillon bewegen. Aber nicht nur die Licht- und Klanginszenierung von Le Corbusier und Edgard Varèse ist für das Verhältnis von Architektur und Musik von Bedeutung, sondern auch die äußere Form des Philips Pavillons. Xenakis, der bereits als Komponist Neuer Musik bekannt war, bezog sich bei seinem Entwurf einerseits auf Le Corbusiers Regelsystem, das unter dem Namen Modulor bekannt ist und architektonische Raummaße mit denen des menschlichen Körpers durch den Goldenen Schnitt in Einklang bringt, und nahm zum anderen seine 1953–1954 entstandene Komposition Metastasis als Ausgangspunkt für die Konstruktionsprinzipien der gekrümmten, sich steil emporschwingenden Außenflächen des Philips Pavillons, die als Regelflächen (hyperbolische Paraboloide) bezeichnet werden. Dabei übertrug er die Glissando-Bewegungen der vielfach geteilten Streicher zu Anfang und am Ende von Metastasis auf die mathematisch-geometrischen Prinzipien, die bei der Berechnung der hyperbolischen Parabolformen zur Anwendung kamen. Xenakis überführte somit die kontinuierliche Bewegung der Klangfolgen in Metastasis in die durchgehende Umhüllung des Philips Pavillons.

Für den Pavillon komponierte Xenakis zudem das Stück Concret PH. Dabei handelt es sich um eine stereophone Komposition mit Klängen verglühender Kohle, die nach dem Prinzip des Zwischenspiels clusterartig über die Lautsprecher im Inneren des Pavillons wiedergegeben wurde, während das Publikum für die mehrmals täglich stattfindenden Vorstellungen des Poème Électronique wechselte. Xenakis bezeichnete die Beziehung von Concret PH und dem Pavillon selbst als eine homologe Antithese. Die von Agostino di Scipio nachgewiesene granulare Struktur der Komposition verhält sich antithetisch zum Konzept der geometrischen Kontinuität des Pavillons.[4]

Der Philips Pavillon wurde noch im Herbst 1958 gesprengt. Das verbliebene Originalmaterial, das in Form von unterschiedlichen Partituren, Ton- und Filmbändern, architektonischen Plänen und zahlreichen Dokumentationsfotos erhalten ist, wird derzeit im Rahmen des umfassenden Forschungsprojektes Virtual Electronic Poem[5] aufgearbeitet. Ziel des Projekts ist die virtuelle Rekonstruktion der Licht-Klang-Projektion im Inneren des Pavillons mittels eines immersiven 3-D-Wiedergabesystems, bestehend aus einem Datenhelm mit Headtracker, binauralen Kopfhörern und stereoskopischem Display.


Anfänglich hatte Le Corbusier Xenakis verweigert, als Architekt des Pavillons zu zeichnen, woraufhin Xenakis die Zusammenarbeit beendete und sich verstärkt der Musik zuwandte. Schließlich wurde Xenakis als Co-Architekt angeführt.  
Über die Anzahl der Lautsprecher im Pavillon gibt es verschiedene Angaben, die Zahl 350 ist nach derzeitiger Quellenlage die plausibelste.