Ton-Bild-Relationen in der interaktiven Kunst

2 Das offene Kunstwerk: vom Konzept zu ersten Realisierungen

Bereits die Avantgarden der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stellten den klassischen objektorientierten Werkbegriff zugunsten eines stärker prozess- und ereignisorientierten Werkverständnisses infrage: Futuristen und Dadaisten inszenierten ihre Opposition zum traditionellen Kunstbegriff in provokativen Manifesten und Spektakeln. Dadaismus und Surrealismus setzten auf Zufallselemente im Prozess der Werkentstehung, sei es durch die Einbeziehung von Alltagsmaterialien oder den psychischen Automatismus der écriture automatique. Jackson Pollock führte diese Ideen im Rahmen seiner Action Paintings dann in die vollständige Abstraktion, womit der Prozess der Werkentstehung endgültig ins Zentrum der Arbeiten gerückt war.

Das künstlerische Interesse an Prozessen sowie an vom Künstler nicht kontrollierbaren Faktoren der Werkentstehung legte eine Auseinandersetzung mit der Rolle des Publikums und seiner Rezeptionstätigkeit nahe. Robert Rauschenberg betonte 1951 anlässlich der Ausstellung seiner vollständig monochromen White Paintings, die Gemälde seien nicht passiv, sondern hypersensitiv, da sie z. B. durch Schattenwurf anzeigten, wie viele Personen im Raum seien, oder je nach Tageszeit anders erschienen. Es sei irrelevant, dass er diese Bilder gemacht habe: Today is their creator.[3] John Cage, enger Freund Rauschenbergs, übertrug diese Ideen in die Musik, u. a. mit seinem berühmten Stück 4′33″ (1952), dessen Partitur lediglich Zeitfenster zur Wahrnehmung von Umgebungsgeräuschen festlegt. Marcel Duchamp formulierte plakativ, daß ein Werk vollständig von denjenigen gemacht wird, die es betrachten.[4] Theoretisch aufgearbeitet wurden diese Entwicklungen zuerst durch Umberto Eco, der 1962 in seinem Buch Opera aperta (Das offene Kunstwerk) literarische, musikalische und bildende Kunstwerke beschrieb, die gekennzeichnet sind durch die Einladung, zusammen mit ihrem Hervorbringer das Werk zu machen.[5]

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