Klang im Animationsfilm

4 Die Neugeburt der Animation

Während der 1980er Jahre war der Einsatz von Ton im Animations-Bereich ebenso vielfältig wie die Zusammenhänge, in denen der Ton eingesetzt wurde. Immer mehr einschlägige College-Kurse bedeuteten einen entsprechenden Zuwachs an Arbeiten von StudentInnen und unabhängig produzierten Filmen, die oft durch hohe Qualität sowohl im Sound Design wie in der Animationstechnik überzeugten. Ein Beispiel ist der mit einem Oscar ausgezeichnete Film Balance (DE 1989) von Wolfgang und Christoph Lauenstein, der gerade durch äußerst sparsamen Einsatz von Geräuschen einen Eindruck von den ungeheuren Dimensionen des Weltalls zu vermitteln vermag.

Von besonderem Interesse in dieser Zeit ist die immer wichtiger werdende Rolle, die der Animation auf dem Gebiet der Musikbebilderung zukommt. Nachdem Anfang der 1980er Jahre das Kabelfernsehsender MTV entstanden war, wurde Animation, die explizit auf Musik basierte, zur Selbstverständlichkeit. Zu den berühmtesten Beispielen von Animationen in Musikvideos gehören Ahas Take on Me (1985), Peter Gabriels Sledgehammer (1987) und Michael Jacksons Black or White (1991). Der Filmemacher Michel Gondry machte sich einen Namen als Regisseur innovativer Musikvideos, in denen Animation einen festen Platz hatte, z. B. für Björk oder The Chemical Brothers. Animation hatte besonders deshalb einen so hohen Stellenwert, weil sie interessante visuelle Effekte zur Illustration des Textinhalts der Lyrics ermöglichte.

In Lauf dieser Zeit ergaben sich wichtige Neuerungen auch auf dem Gebiet der Tontechnik. Weiterentwicklungen der Dolby-Tonsysteme und der THX-Normen stellten eine wesentliche Verbesserung der Erlebnisqualität des Films dar, was besonders für kostspielige Blockbusters wichtig war, die mit Animation arbeiteten, um immer ausgefeiltere Special Effects entwickeln zu können.

In den 1990er Jahren wuchs die Animationsindustrie noch einmal kräftig, wobei wieder der Ton eine wesentliche Rolle spielte. Disneys erfolgreiche Vermarktung von Filmmusik fand eine Fortsetzung bis in die jüngste Vergangenheit. Höhepunkte stellen die Arbeiten des Komponisten Alan Menken und der Texter Howard Ashman und Tim Rice dar: Beauty and the Beast (US 1991, R: Gary Trousdale und Kirk Wise), Aladdin (US 1992, R: Ron Clements und John Musker), The Lion King (US 1994, R: Roger Allers und Rob Minkoff). Um der Musik des Studios noch eine weiteres Feld zu erschließen, adaptierte Disney einige seiner Filme für das Theater, so ist z. B. das Musical The Lion King zu einem Langzeit-Erfolg am Broadway geworden.

In diesen Zeitraum fällt auch ein signifikanter Wandel in der Bedeutung der SynchronsprecherInnen für animierte Filme. Bei animierten Fernsehserien und Spielfilmen ist man immer mehr dazu übergegangen, die Stimmen von Stars wie Robin Williams, Tom Hanks oder Cameron Diaz einzusetzen, um die Attraktivität des Films für jugendliche wie für erwachsene Kinobesucher dadurch wesentlich zu erhöhen. Heute bildet meist die Interpretation des Textes einer Figur, die ein berühmter Schauspieler als Synchronsprecher abliefert, die Grundlage für die Entwicklung der animierten Bewegungen. In der Vergangenheit liehen SynchronsprecherInnen den Figuren nur ihre Stimmen, heute ist es dagegen üblich, dass die Figuren um die Stars herum konzipiert werden, die ihnen ihre Stimme zur Verfügung stellen. Selbst das Charakterdesign in animierten Dokumentarfilmen orientiert sich oft an den Menschen, deren Stimmen zu hören sind; in dem mit einem Oscar bedachten Kurzfilm Ryan (CA 2004) z. B., bei dem Chris Landreth am National Film Board of Canada Regie führte, basiert die Animation auf Landreths Interviews mit Ryan Larkin, der Person im Zentrum des Films.

Ganz andere Verhältnisse herrschen im Bereich des Indie-Films, wo viele Produktionen überhaupt ohne Dialog auskommen müssen. Das Aufzeichnen von Dialog ist kostspielig und zeitraubend, zusätzliche Lippensynchronisation bedingt einen wesentlich höheren Animationsaufwand, und Sprache bedeutet immer Einschränkungen im Auslandsvertrieb: Viele Kurzfilme finden schließlich eine Heimstätte im Internet oder werden bei Filmfestivals auf der ganzen Welt vorgeführt; es ist also durchaus sinnvoll, das gesprochene Wort zu meiden. Ein ganzer Spielfilm ohne Dialog mag zwar eine Seltenheit sein, aber wie Les Triplettes de Belleville (FR 2003), eine französisch-belgisch-kanadische Koproduktion des Regisseurs Sylvain Chomet, gezeigt hat, ist auch hier der Dialog nicht unverzichtbar. In diesem Film wird zwar das Lied Belleville Rendez-Vous mehrmals (auf Französisch) gesungen, die Handlung aber entfaltet sich mit einem Minimum an gesprochenem Wort.

Ebenso wird natürlich in non-narrativen Arbeiten, die weiter einen ganz wichtigen Bereich darstellen, auf Dialog verzichtet, z. B. in der Entwicklung visueller Musik, die sich an den Wandel der Zeiten angepasst hat. Anwärter auf den Anspruch, diese Tradition fortzusetzen, finden sich nicht nur in der elektronischen Musik, sondern auch – und ganz besonders – auf dem Gebiet des VJing und des Live Cinema, wo Animationstechniken immer stärkere Beachtung finden. Die Digitalisierung der Tontechnologie ermöglicht KünstlerInnen verschiedenste Experimente auf allen Ebenen und hat im Bereich der Arbeit mit dem Ton in den letzten Jahren zu einer noch größeren Vielfalt geführt.

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