Synästhesie, ein neurologisches Phänomen

1 Häufigkeit und Merkmale von Synästhesie

Die Häufigkeit des Auftretens synästhetischer Wahrnehmungen ist nicht eindeutig feststellbar. Ergebnisse verschiedener Feldstudien variieren zwischen 0,05 % und 4 %, wobei Frauen häufiger betroffen sind (Schätzungen variieren hier von 1:1,1 bis 1:6). Es gilt als wahrscheinlich, dass Synästhesie eine genetische Komponente hat, da sie häufig innerhalb einer Familie auftritt.

Jede Synästhesie lässt sich formal durch einen Satz von auslösenden (z. B. Musik) und ausgelösten (z. B. Farben) Eigenschaften charakterisieren, die automatisch gekoppelt werden, also nicht zu unterdrücken sind (Bergfeld Mills, 1999). Die auslösenden Wahrnehmungen können entweder komplexer (wie z. B. Musik) oder einfacher Natur sein (wie z. B. Geräusche), wohingegen die ausgelösten Wahrnehmungen meistens einfach sind (z. B. Farben, einfache geometrische Figuren, Einzeltöne u. Ä.). Eine Ausnahme bilden hierbei die sogenannten ordinal spacial sequences (Sagiv et al. 2005) und eine erst seit Kurzem untersuchte Synästhesieform, bei der Zahlen, Zeiteinheiten oder Buchstaben als Persönlichkeiten wahrgenommen werden, die sogenannte OLP = Ordinal Linguistic Personification.

Als wichtigstes Kriterium für die Feststellung einer Synästhesie gilt die individuelle Konsistenz der Kopplung über lange Zeiträume. So nimmt ein Synästhetiker die Zahl 1 beispielsweise immer grün wahr, für einen anderen erscheint sie jedoch immer gelb. Jeder Synästhetiker hat also seine individuellen konstanten Kopplungen von auslösender und ausgelöster Wahrnehmung bzw. seine eigene synästhetische Realität, was die Erforschung des synästhetischen Phänomens deutlich erschwert.

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